Ist die Bibel, im Besonderen das Neue Testament, von Gott inspriert oder gar wörtlich diktiert?
Um die Aussage, dass die Bücher des Neuen Testaments inspiriert worden sind zu belegen, gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten:
- Die Verfasser der Texte betonen ausdrücklich, dass der Geist Gottes ihnen den Inhalt eingegeben oder gar diktiert hat
oder
- der Geist Gottes sagt irgendwo und irgendwann, dass die Bücher des Neuen Testaments inspirierte Schriften seien.
Wenn wir in die Bibel schauen, finden wir jedoch im gesamten Neuen Testament (mit Ausnahme der Offenbarung) keinen einzigen Hinweis auf eine Inspiration der Bücher. Hätten nicht die Verfasser, genau wie die Schreiber im Alten Testament immer wieder betont, dass die Bücher eine Inspiration Gottes seien? Im Alten Testament finden wir unzählige Male Aussprüche wie “So spricht der Herr” oder “Gott sprach”. Im Neuen Testament (Ausnahme Offenbarung) kein einziges Mal. Im Gegensatz dazu finden wir hier oftmals sogar ausdrückliche Hinweise auf die Entstehung durch eigenes Nachdenken, Erleben oder Recherchieren der Inhalte. So schreibt z.B. der Evangelist Lukas ganz zu Anfang:
“Da es nun schon viele unternommen haben, einen Bericht von den Ereignissen zu verfassen, die sich unter uns zugetragen haben, wie sie uns die überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes gewesen sind, hat es auch mir gut geschienen, der ich allem von Anfang an genau gefolgt bin, es dir, hochedler Theophilus, der Reihe nach zu schreiben.”( Lk 1,1-3)
Sein Bericht enthält also nach seiner eigenen Aussage das, was Augenzeugen ihm berichtet haben. Er berichtet dasselbe, was vor ihm schon viele andere niedergeschrieben hatten. Mit keinem Wort erwähnt er eine Eingabe durch “den Heiligen Geist”.
Auch der Apostel Johannes schreibt:
“Was von Anfang an war, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir angeschaut und unsere Hände betastet haben vom Wort des Lebens … was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. Und dies schreiben wir, damit unsere Freude vollkommen sei.” (1.Joh 1,1-4)
Auch hier: Ein Bericht der eigenen Erlebnisse und kein Wort von Inspiration.
Und der Apostel Paulus schließlich betont:
“Dies aber sage ich als Zugeständnis, nicht als Befehl. Ich wünsche aber, alle Menschen wären wie ich; doch jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so. Ich sage aber den Unverheirateten und den Witwen: es ist gut für sie, wenn sie bleiben wie ich.” ( 1.Kor 7, 6-8)
und ganz deutlich:
“Den übrigen aber sage ich, nicht der Herr:….” (1.Kor 7,12)
Kann die Aussage “sage ich, nicht der Herr” vom Herrn inspiriert sein??
Als Beweis für eine Inspiration der Schriften des Neuen Testaments wird auch gerne folgender Vers herangezogen:
“Die ganze heilige Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit,” ( 2.Tim 3, 16)
Schaut man in den Urtext, so ergibt sich aber ein ganz anderer Sinn:
“Jede Schrift, die von Gott eingegeben ist, ist nützlich zur Lehre, ….”
Nun gehen viele Kirchenlehrer aber noch einen Schritt weiter und sagen: Nicht nur der damalige Text, sondern auch die uns heute vorliegenden Ausgaben der Bibel würden noch wörtlich mit dem Urtext übereinstimmen. Sie sagen, Gott würde die Bibel vor absichtlichen und unabsichtlichen Verfälschungen schützen. Als Hinweis dafür führen sie Offb. 22,18-19 an:
“Ich bezeuge jedem, der die Worte der Weissagung dieses Buches hört: Wenn jemand zu diesen Dingen hinzufügt, so wird Gott ihm die Plagen hinzufügen, die in diesem Buch geschrieben sind; und wenn jemand von den Worten des Buches dieser Weissagung wegnimmt, so wird Gott seinen Teil wegnehmen von dem Baum des Lebens und aus der heiligen Stadt, von denen in diesem Buch geschrieben ist.”
Wo aber steht dort, dass nichts hinzugefügt oder weggenommen wird? Dort steht lediglich, dass derjenige, der etwas hinzufügt oder entfernt seine Strafe erhalten wird. Im Gegenteil: Dadurch, dadurch dass eine Strafe angedroht wird, wird ja ausdrücklich auf die Möglichkeit der Fälschung hingewiesen. Wäre eine Fälschung unmöglich, so hätte Gott doch auch keine Strafe androhen brauchen!
Im Alten Testament beschwert sich sogar Gott selbst über die Verfälschungen der Bibel:
“Wie könnt ihr sagen: Wir sind weise, und das Gesetz des HERRN ist bei uns? In der Tat! Siehe, zur Lüge hat es der Lügengriffel der Schriftgelehrten gemacht.”( Jer 8,8)
Dass in den uns heute vorliegenden Ausgaben der Bibel Fehler enthalten sind, bestätigt uns auch der Hl.Hieronymus. Im Auftrage des damaligen Papstes Damasus übersetzte er von ca. 382 – 405 n. Chr. die ganze Bibel ins Lateinische. Diese Übersetzung mit Namen “Vulgata” (= einfach) entwickelte sich allmählich zur lateinischen Standardübersetzung und ist bis auf den heutigen Tag die offizielle Bibel der röm.-kath. Kirche.
In einem Brief an Damasus beklagte sich Hieronymus über seine Aufgabe. Er sagte, es sei eine gefährliche Anmaßung, eine Bibel schreiben zu wollen, welche den richtigen Text wiedergäbe, denn die vorhandenen Abschriften des Urtextes wichen alle voneinander ab. Nun solle er den Schiedsrichter spielen. Wenn er nun eine neue Bibel herausgäbe, so würde sie von den bisherigen abweichen. Die Folge wäre, dass man ihn einen gotteslästerlichen Fälscher nennen würde, da er Worte und Sätze geändert, hier etwas ausgelassen und dort etwas hinzugesetzt oder sonstige Veränderungen vorgenommen habe. Als Ursache für die Unterschiede führte er an, dass manche Abschreiber in verbrecherischer Weise absichtlich gefälscht hätten. Andere wollten in ihrer Anmaßung den Text verbessern, hätten ihn jedoch in ihrer Unerfahrenheit noch mehr verdorben. Wieder andere hätten beim Abschreiben geschlafen und dadurch manches ausgelassen, verkehrt gelesen oder an die verkehrte Stelle gesetzt.
Auch er hat dann in seiner Vulgata, wie er selber schreibt, nach seinem persönlichen Verständnis Zusätze angebracht, Stellen und Worte umgeändert und Teile ausgelassen. Später wurden an der Vulgata noch weitere Änderungen vorgenommen, und diese dann auf dem Konzil in Trient als “Inspiriertes Wort Gottes” festgelegt…
In der Folge sollen nun einige Stellen angeführt werden, die eindeutig durch Übersetzungsfehler oder Abschreibefehler entstanden sind und in den wahrscheinlichen Urzustand zurückversetzt einen ganz anderen Sinn bekommen.
“Wiederum aber sage ich euch: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes hineinkommt.” (Mt 19,24)
Jeder, der das liest, fragt sich unwillkürlich, warum denn ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen sollte. Generationen von Theologen haben die unterschiedlichsten Verrenkungen gemacht es zu erklären. Schaut man dann aber in den Urtext, so findet man heraus, dass, wenn man im Text nur einen Buchstaben ändert, das “Kamel” zu einem “Strick” wird, was dann wieder einen ganz verständlichen Sinn ergibt:
“Wiederum aber sage ich euch: Es ist leichter, dass ein Strick durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes hineinkommt.”
Eine Stelle, die zur Stützung des Dogmas der jungfräulichen Geburt Marias herangezogen wird, ist Mt. 1,23:
“‘Siehe, die Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden seinen Namen Emmanuel nennen’, was übersetzt ist: Gott mit uns.”
Der Urtext lässt es jedoch offen, ob es eine verheiratete Frau oder eine Jungfrau ist, die einen Sohn bekommen wird. Wichtig ist dem Schreiber nur, dass ein Knabe zur Welt kommen soll. Die wörtliche Übersetzung lautet:
“Siehe, die junge Frau wird schwanger sein und einen Sohn gebären …”
Zur Stützung der Lehre der Dreieinigkeit wird oft 1.Joh 5,7-8 herangezogen:
“Denn drei sind es, die es bezeugen im Himmel: der Vater, das Wort und der heilige Geist und diese drei sind eins.”
In den Urtexten heißt es dagegen:
“Denn es sind drei, die [es] bezeugen: der Geist und das Wasser und das Blut, und die drei sind einstimmig.”
Da die Fälschung zu offensichtlich war, man sich aber den einzigen “Beweis” für die Dreieinigkeit nicht aus den Händen nehmen lassen wollte, erklärte die Indexkongregation am 15. Januar 1897 im Auftrage des Papstes ausdrücklich, dass es sich hierbei um einen “integrierenden Bestandteil” des Neuen Testaments handele und darum auch als vom “Heiligen Geist” inspiriert zu betrachten sei.
Die vorangegangenen Beispiele könnten noch beliebig fortgesetzt werden. Es liegt uns fern, die Bibel in Misskredit zu bringen und das Vertrauen, das viele Menschen zu Recht in dieses wunderbare Buch setzen, zu erschüttern. Wir sind aber ganz deutlich der Meinung, dass die Bibel es nicht nötig hat, sich ihre Autorität mit falschen Glaubenssätzen zu erhalten.
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